Le parnasse française
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Westfalen Barock 2023
Vom 11. bis 13. August 2023 ist der legendäre Gründer der Musica Antiqua Köln und Professor am Mozarteum Salzburg Reinhard Goebel zu Gast bei caterva musica in Gelsenkirchen. In öffentlichen Proben und einem Konzert wird er in die Besonderheiten französischer Musik des 17. und 18. Jahrhunderts einführen.
Öffentliche Proben am 11.August |15.00 bis 18.00 Uhr und 12.08. um 10.00 bis 13.00 Uhr
im c/o – Raum für Kooperationen, Bochumer Straße 140-142, 45886 Gelsenkirchen
Konzert am 13.08.2023 | 17.00 Uhr im Schloss Horst Gelsenkirchen
Le Parnasse Francais – Französische Musik zwischen 1680 und 1740
Marc Antoine Charpentier (1643 – 1704)- Concert à quatre parties des violes für Streicher & Basso Continuo (um 1680)
Francois Couperin (1688 – 1733) – Concert Instrumental sous le titre “L´Apotheose de Lulli“ für zwei Flöten, zwei Violinen, Viola da gamba Cembalo (1725)
Marin Marais (1656 – 1728) Sonnerie de St.e Géneviève sur mont à Paris.für Violine, Viola da Gamba und Cembalo (1723)
–
Jean Marie Leclair (1697 – 1764 ) Concerto F-Dur op.7, Nr. 4. für Violine, Streicher & Basso Continuo (1737)
Allegro – Adagio 3/2 – Allegro 3/8
Michel Corrette (1707 – 1795) – Concerto Comique Nr. 25 : „Les Sauvages“ für Flöte, zwei Violinen, Viola & Basso Continuo (um 1740)
Les Sauvages – Si on scait aimer & plaire – La Fustemberg
Reinhard Goebel – Einstudierung und Moderation
caterva musica – Barockorchester in Westfalen
Elke, Wolfgang und Katharina Fabri – Violinen
Michael Glatz – Viola
Imola Gombos – Viola da Gamba, Violoncello
Jörg Lühring – Kontrabaß
Ada Tanir – Cembalo
Constanze Kästner, Gudrun Knob – Traversflöte
Moderation und Einstudierung – Reinhard Goebel
Mit freundlicher Unterstützung durch
Warum französische Barockmusik?
In Deutschland entstand im Spätbarock der sogenannte „vermischte Geschmack“, der in der Musik die unterschiedlichsten Stilrichtungen, vor allem aber die beiden gegensätzlichen Stile Italiens und Frankreichs miteinander verband. Während die italienische Musik geprägt war von Affekten, willkürlichen Veränderungen, Improvisation und Lebensfreude, war die französische Musik eher dem Tanz und damit ganz klar vorgegebenen rhythmischen Figuren verbunden. Mit viel Detailverliebtheit wurde auch die kleinste Verzierung festgelegt, kunstvoll und äußerst genau. Denn um tanzbar zu
sein, bedurfte es in der Musik ganz klarer Strukturen. Die deutschen Komponisten des Barock vereinten in ihrer Musik nach ihrem eigenen Gusto beide Stile. So entstand eine Musik, die in ihrer Lebendigkeit, Farbigkeit und Vielfalt einzigartig war und richtungsweisend für die kommende Epoche der Klassik wurde.
Als Reinhard Goebel seine Musica antiqua Köln in den 70er Jahren gründete, spielten sie in den ersten Jahren fast ausschließlich französische Barockmusik. Diese Zeit habe, so Reinhard Goebel, auch seine Herangehensweise an deutsche Komponisten wie Telemann oder Bach sehr geprägt. Caterva musica dagegen hat sich bisher hauptsächlich mit dem italienischen Stil befasst und sich auf diesem Wege der Musik des vermischten Geschmacks genähert. Nun ist es an der Zeit, einmal die Perspektive zu wechseln. Mit Reinhard Goebel hat caterva musica dafür einen Spezialisten gewonnen, der nicht nur unzählige vielgerühmte und prämierte Aufnahmen mit französischer Barockmusik mit der Deutschen Grammophon veröffentlicht hat, sondern auch die Musik zu dem Film „Der König tanzt“.
In der Tat ist das, was Musica Antiqua Köln und ich innerhalb eines Vierteljahrunderts für die Archiv-Produktion aufnahmen, so etwas wie die die Blütenlese der französischen Instrumentalmusik unter dem Sonnenkönig und seinem Nachfolger Louis XV – und sehr schwer nur, ja kaum kann sich heute vorstellen, mit welchem Befremden das Publikum der 1970er Jahre dieses Idiom auch in Frankreich zur Kenntnis nahm, wurde doch Barockmusik grundsätzlich mit maschinell ratternden Abläufen „à l ́italien“ gleichgesetzt.
Nun also ein verstörend neuer Ton von Diskretion & Leichtigkeit & gespreizter Verfeinerung , eigentlich unbarocker Zurückhaltung und gezügelter Affekte. Selten wird diese Musik so elementar traurig oder auch so mitreißend jubelnd, wie die von Bach, Telemann und Heinichen, immer bleibt sie Theater, Rollenspiel und verklausulierter Gestik verpflichtet –evoziert augenblicklich bei aller Bewunderung immer auch freundliche Distanz.: Weder reißt sie uns in die Tiefen tränenüberströmten Leidens hinab, noch katapultiert sie uns auf direktem Weg in den Himmel….. Schwer vorstellbar im digitalen Zeitalter auch ist, unter welchen Bedingungen man vor dieser Zeitenwende unveröffentliche Musik aufarbeitete ! Filme und Fotos von Musikalien herzustellen, dauerte Wochen, manchmal Monate – und so fuhr ich anfangs mit dem Nachtzug nach Paris und deckte mich im Lesesaal der Bibliotheque Nationale in der Rue Richelieue mit billigen, schnell verblassenden Fotokopien der Stimmbücher ein, die gleichwohl noch in moderne Partitur übertragen werden mußten: eine extrem zeitaufwendige, aber ebenso befriedigende und vor allem beruhigende Arbeit, die mich mein gesamtes Musica-Antiqua-Leben hindurch an den Schreibtisch fesselte.
Damals, als sich die Laden-Regale der Musikalien-Handlungen in aller Welt noch nicht unter der Last hunderter überflüssiger Faksimiles bogen, als die bizarrsten Repertoire- Wünsche und sämtliche Autographe Bachs noch nicht nur einen mouse-click und ein download entfernt waren , entwickelten wir in unserem Ensemble zu jeder Komposition eine persönliche Beziehung – und wir waren enorm stolz auf unser wirklich einzigartiges Repertoire, welches Bewunderung, Neid, manchmal aber auch – besonders bei jenen hardlinern, die nach wie glaubten, Musik sei „die deutscheste der Künste“ – Unverständnis und Häme hervorrief.
Für meine Kollegen und mich vergrößerte sich mit jeder neuen Komposition französischer Provenienz sowohl die Liebe zu unseren lateinischen Nachbarn und ihrer
wunderbaren Kultur – gleichzeitig änderte sich auch der Blickwinkel auf den heute so grotesk überbewerteten Kultur-Transfer zwischen Frankreich und Deutschland: veritable Frankreich-Begeisterung gab es zwischen 1680 und 1690. Um 1700 waren die Wellen der Begeisterung längst abgeebbt und all ́die Neuigkeiten, die die französische Staatsmusik den verarmten Nachbarn vermittelt hatte, bereits derartig inkorporiert und amalgamiert, daß man nur noch von einem „vermischten Geschmack“ sprechen kann. Le Parnasse Francais – ein kaum über das Stadium der Kopfgeburt hinausgekommener Plan eines Denkmals für Louis le Grand, zu ihm als Apollo seines Zeitalters aufblickend
All ́denjenigen Komponisten, die die Stagnation des französischen Musikgeschmacks beklagt und die Öffnung hin zum italienischen Idiom gefordert oder gar praktiziert und somit für Wandlung und Fortschritt gesorgt hatten – wie den Musikern des „Style Palais Royal“ Forqueray, Blavet , Leclair und Couperin – blieb der Parnass ebenso verschlossen wie dem im dresdener Orchester spielenden Pierre Gabriel Buffardin. Der vermeintlichen Preisgabe veritabler französischer Werte folgte die Damnatio Memoriae als gerechte Strafe.
Unser „Parnass Francais“ aus deutschem Blickwinkel ist also im Wesentlichen von Dissidenten bevölkert – Komponisten, die man noch nicht einmal aus Gnade in die zweite Reihe stellte, wie den in Rom ausgebildeten, in Paris zeitlebens marginalisierten Charpentier. Erstaunlich aber ist, daß der „Paix du Parnasse“ – ein auf enormer Stilhöhe gewähltes Kompositions-Emblem des Francois Couperin „le Grand“ – nur zwischen den Lateinern Lully und Corelli besiegelt wurde und die Leistungen deutscher Komponisten überhaupt nicht zur Sprache kamen. Unüberbrückbar tief waren die jahrhundertelang ausgehobenen Gräben zwischen den Franzosen und den Deutschen, die sich dennoch beide auf Charlemagne, Karl den Großen als Reichsgründer beriefen : Telemanns Gastspiel 1737/38 in Paris und Voltaires Aufenthalt in Potsdam 1750/53 blieben rühmliche Ausnahmen in einem ansonsten immer frostigen Klima zwischen den beiden Völkern.
Ohne sentimentale Übertreibung darf ich sagen, daß es meine Nachkriegs-Erziehung war, die diese anhaltende tiefe Liebe zur französischen Kultur auslöste – durchaus mitvollzogen von meinen internationalen Kollegen im Ensemble Musica Antiqua Köln. Uns alle hat die lange Beschäftigung mit der französischen Musik vor allem im ersten Jahrzehnt unserer Bühne-Präsenz ungeheuer bereichert, unsere Telemann- Interpretation bestimmt, sowie Ohren und Herz für das geöffnet, was man im 18. Jahrhundert hierzulande „vermischten Geschmack“ zu nennen pflegte.
Nach 15 Jahren Abstinenz – nach 1985 befassten wir uns fast ausschließlich mit dem Erbe deutscher Musik – dann im Jahr 2000 den Soundtrack für Gérard Corbiaus Film „Le Roi danse“ beisteuern zu dürfen, war weitaus mehr als nur ein Engagement unter vielen, es war mehr als nur die Rückkehr zu den Wurzeln, mehr als nur ein déjà-vue : ich fühlte mich veritablement in den „Parnasse Francais“ erhoben – und es war eine fabelhafte Zusammenarbeit, an die ich immer mit größter Freude zurückdenken werde.
rg